Schelte einer Hypochonderin
Die “Neue Grippe”, die aus Angst um den Ruf der Schweine nicht mehr Schweinegrippe genannt werden darf, ist natürlich ein gefundenes Fressen für die Medien. Nicht, dass nicht auch ernste Besorgnis hinter der Aufregung stecken kann, aber bei gewissen Blättern ist es doch offensichtlich reine Sensationsgier. Besonders der Blick und der noch billigere Gratisableger Blick am Abend scheinen sich ihrer Verantwortung nicht bewusst sein. Das fängt bei reisserischen Schlagzeilen an, die dem hypochondrisch veranlagten Teil der Bevölkerung Alpträume beschert: “Die Seuche kommt” titelte der Blick am Abend am 27. April und in meinem gebeutelten Hirn verlinkten sich diese Worte mit Bildern aus Hollywoodfilmen, auf denen leergefegte Strassen und Ruinen zu sehen sind. Das ginge ja noch, zarte Seelen wie ich müssen sich ja nicht bei den violetten Gratisstapeln bedienen. Es ist jedoch eine Tatsache, dass gewisse Personen sich hauptsächlich per Blick informieren und dass ihr Wissensstand dementsprechend nicht immer ganz ausgewachsen ist. Wenn nun eine andere, nicht ganz unumstrittene Person namens Beda Stadler diesen wissensstandmässig benachteiligten Leserinnen und Lesern als Experte präsentiert wird und ihnen dann empfiehlt, doch gleich alle Tamiflu-Vorräte aufzukaufen, um sich zu Hause ihr ureigenes Depot anzulegen (Der Konditionalsatz ist durchaus als solcher zu verstehen: Die Info stammt aus dem Tagi, auf der Homepage des Blicks habe ich leider nichts gefunden), ist dass nur noch sträflich leichtsinnig: Erstens besteht die Gefahr, dass die Viren resistent werden, und zweitens fügt sich diese Resistenz nahtlos in das Horrorszenario in meinem hypochondrischen Kopf ein, quasi flächendeckender Tod und Hölle auf Erden. Wenn tatsächlich solche Fehlinformationen aus Sensationsgier und Auflagenzahlengeilheit als Expertenweisheit verkauft wurden (würde mich freuen, wenn mir jemand den entsprechenden Link oder das PDF schicken könnte), sollte sich die Blickredaktion in Grund und Boden schämen. Wenn nicht, soll sich eben der Tagi für die Falschinformation schämen. Aber auch in Grund und Boden schämen sollten sich diejenigen ApothekerInnen, welche Tamiflu auch ohne Rezept verkaufen (wie viel verdienen sie daran? Und wäre der Verkauf nicht ebenso einfach wie der Verkauf von Alkohol an Minderjährige zu kontrollieren?), und diejenigen AerztInnen, welche das Medikament grundlos verschreiben (oder könnte der Grund ein kleines Extraverdienst sein?). Und zum Schluss doch auch noch ein Lob: Die Sendung 10 vor 10 von gestern war absolut hypochonderverträglich: Ich schau gern wieder rein!