11. Juli 2011
Nun haben wir uns also in den USA einen Namen gemacht als Land, das sich eine Freude daraus macht, Blechkarrossen und ihre Insass/innen zu quälen - so zu lesen im Blick am Abend vom 4. Juli 2011. Die Leier ist ja altbekannt: zu rote Ampeln, zu wenig Parkplätze, zu viele Velos… Doch die New York Times, zitiert im Schweizer Abendkäseblatt, gibt noch einen obendrauf: Verkehrsplaner/innen machen Überstunden, um Autofahrer/innen zu ärgern, und 91 Prozent der Parlamentarier/innen fahren mit dem Tram zur Arbeit! Skandalös erscheint sowohl dem Blick am Abend wie auch der New York Times die Aussage, dass Pio Marzolini als Fussgänger nicht weniger wert sein will als ein Auto, und er selber relativiert seine Aussage später gleich selber. Das der Umkehrschluss gilt, habe ich ja schon länger befürchtet…
Denn vielleicht sollte auch mal wieder daran erinnert werden, was Menschen mit beschleunigter Blechhülle alles explizit oder zumindest implizit erlaubt ist: Sie dürfen, mehrheitlich ungestraft, den schwächeren Verkehrsteilnehmenden den Vortritt nehmen, sie dürfen ihr Gefährt stehen lassen, wo es ihnen grad beliebt, sie haben, wo nicht anders vermerkt, stets Vortritt vor Fussgänger/innen, und wenn sie mal versehentlich eine/n solche/n über den Haufen fahren, sind die Strafen vergleichsweise mild.
Verwöhnt, wie sie sind, möchten sie natürlich auch nicht auf ihre wohlerfahrenen Subventionen verzichten und verpassen sich, wie in Bern geschehen, am liebsten gleich selbst per Initiative Steuergeschenke. Die Mär von den heiligen Milchkühen der Nation wird immer wieder gern bedient. Dass sie nicht stimmt, hat grad eben wieder eine Berechnung des Kantons Bern gezeigt: die motorisierten Wohltäter/innen der mobilen Gesellschaft kommen nicht einmal für die von ihnen verursachten Kosten auf, wenn grosszügigerweise Gesundheits- und Umweltschäden nicht mitberechnet werden (Bund vom 27. Juni 2011). Wann sind Menschen wieder mehr wert als Autos?
Tags: Auto, Autokosten, Blick am Abend, New York Times, Schikanen, Steuergeschenke
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25. Juni 2011
Viel los und dann auch noch Softwarefehler - Lautsprecherin war verschwunden, und das Publikum inzwischen wohl auch… Aber nun bin ich zurück und zu schreiben gibt es nach wie vor genug, ja immer mehr: Markus Somm bringt die Basler Zeitung auf strammen SVP-Kurs und kritisiert den Atomausstieg des Bundesrats als typisch weiblichen esoterischen Schnellschuss (BaZ vom 26. Mai 2011); Markus Theunert von männer.ch spricht heute am Kongress der IG Antifeminismus - hoffentlich funktioniert seine Provokation! -; die Medien werden unter Zeit- und Spardruck populistischer und geben zunehmend gleichstellungskritischen AkteurInnen eine Plattform; in Internetforen (die ich meiner Laune zuliebe nicht lesen sollte) setzt sich die Ansicht durch, der Lohnunterschied zwischen Männer und Frauen beruhe auf der effektiven Leistung und sei deshalb berechtigt; und nicht zuletzt wird neuerdings auch von links Kritik an der Gleichstellungsarbeit laut.
Gleichstellung und Feminismus sind eindeutig nicht mehr sexy - aber was dann? Frau am Herd ohne finanzielle Absicherung? Familienoberhaupt mit Herzinfarkt? Eine Lohndifferenz von 20% - Tendenz steigend? Sozialhilfeabhängige Alleinerziehende? Armutsbetroffene Scheidungskinder, die ihren Vater nur am Wochenende sehen? Die gläserne Decke? Starre Geschlechterrollen?
Eine neue, moderne Gleichstellung wird gefordert. Von deren VerfechterInnen habe ich bis jetzt aber erst Kritik, kaum jedoch konstruktive Vorschläge gehört. Diese sind jedoch die Voraussetzung für den Dialog auf Augenhöhe. Fehlen sie, nährt sich bei mir der Verdacht, dass es letztendlich doch nur Männer sind, die ihre Pfründe verteidigen, unterstützt von Frauen, die sich nicht des unsexy Feminismus verdächtig machen wollen…
Tags: Gleichstellung, IG Antifeminismus, Markus Somm, Markus Theunert, männer.ch, Medien, Populismus
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21. Dezember 2010
So ungefähr im Zweitagesrhythmus schreit’s mir in der Zeitungsbeilage knallorange entgegen: “Geiz ist geil”! Zugegeben, Schnäppchen haben ihren Reiz, gerade wenn die eigene finanzielle Lage nicht rosig ist. Trotzdem entsorge ich die Werbebeilage im Altpapier: Einkaufen werde ich bei Saturn sicher nicht, denn ich finde Geiz alles andere als geil. Europas Geiz bezahlen andere teuer (Preisbeispiele auf der Seite der Erklärung von Bern), denn wenn uns Elektronikartikel zu Spottpreisen nachgeworfen werden, darf bezweifelt werden, dass sie zu existenzsichernden Löhnen und in menschenwürdigen Arbeitsbedingungen hergestellt worden sind. Menschenrechte sind in der “Geiz ist geil”-Wirtschaft nur ein Störfaktor.
Tags: Arbeitsbedingungen, Erklärung von Bern, Geiz ist geil, Menschenrechte, Saturn
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27. Oktober 2010
Es ist ja schon lustig: Immer wenn ich das SVP-Plakat für die Ausschaffungsinitiative sehe, glaube ich Gölä vor mir zu sehen. Dabei kann der ja gar nicht ausgeschafft werden - ist er doch Schweizer, und dazu erst noch richtiger Schweizer, weil SVP-affin! Abgesehen davon fände ich es doch etwas überreagiert, ihn wegen seiner Musik des Landes zu verweisen…
Nun habe ich aber in der Bund-Online-Ausgabe gelesen, dass die SVP für die Plakate Bilder von richtigen Ausländern, nämlich Kanadiern, verwendet hat, und dass diese Ausländer überhaupt nicht erfreut darüber sind, als Kriminelle dargestellt zu werden. Die Agentur, von der die SVP die Fotos gekauft hat, droht gar mit rechtlichen Schritten. Irgendwie komme ich seit der Lektüre aus dem Grinsen gar nicht mehr raus…
Tags: Ausländer, Ausschaffungsinitiative, Gölä, Schweizer, SVP
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15. September 2010
Seit letztem Jahr dürfen wir einander in der Mittelstrasse (Bern) begegnen, dürfen auf der Strasse flanieren und die Autos müssen abbremsen, können in Strassencafés Kaffee trinken ohne Kühlerhaube vor der Nase… Doch halt, irgendetwas ist schief gelaufen: es sind zwar Parkplätze aufgehoben worden, doch seltsamerweise nicht vor den Cafés, sondern vor der Migros. Tja, doch, es lässt sich ja auch vor der Migros die Sonne geniessen und erfrischende Getränke gibt’s beim Grossverteiler zuhauf. Im vorderen Teil der Mittelstrasse darf scheinbar weiterhin fröhlich parkiert werden, und zwar nicht nur auf den offiziellen Parkfeldern, sondern wo’s der motorisiserten Bevölkerung beliebt. Wo kämen wir denn da hin, wenn wir die Gipfeli von der Bäckerei Glatz nicht mehr mit dem Auto holen könnten?
So sitzen nun vor der besagten Bäckerei die Kaffee Trinkenden auf dem schmalen Streifen zwischen Kühlerhauben und Geschäft, und die Flanierenden drängen sich so schnell wie möglich an den Autos vorbei. Kaffee trinke ich dort schon lange nicht mehr, eigentlich sollte ich die Bäckerei auch für Gipfeli u.ä. boykottieren, so lange sie das Parkverbot bei ihrer Kundschaft nicht durchsetzt. Bis jetzt hat’s leider sonntags für Gipfeli keine Ausweichmöglichkeiten in der Mittelstrasse. Für den Kaffee dagegen hat’s sehr empfehlenswerte Alternativen: Vor dem Tingel Kringel begegnet man ausser der Sonne nur parkierten Velos (auch die Kuchen und Torten sind absolut empfehlenswert!), und vor der Gelateria di Berna begegnen sich die Leute wirklich, sei’s beim Anstehen für die köstlichen Gelati, sei’s an einem der gemütlichen Tische des dazugehörigen Cafés. So stelle ich mir eine Begegnungszone vor, und ich hoffe, dass es den Flanierenden bald gelingt, die ganze Strasse zu erobern und die Blechkarossen zurückzudrängen.
Tags: Autos, Bäckerei Glatz, Begegnungszone, Bern, Gelateria di Berna, Mandelbärli, Mittelstrasse, Parkplatz, Tingel Kringel
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20. Juni 2010
Ich weiss, dass ich mich mit diesem Blogeintrag ziemlich unbeliebt machen werde, denn er verstösst gegen die momentan allgegenwärtige Hochstimmung. Aber trotzdem: Ich finde Fussball LANGWEILIG. Normalerweise ist das nicht weiter schlimm, ich kann ihm ja ausweichen. Nur ist das momentan nicht möglich: Wo bitte soll ich ein Bier trinken oder auswärts essen gehen, wenn in jedem Restaurant ein Bildschirm steht? Ein Bildschirm kann nicht einfach ignoriert werden, er zieht den Blick magisch an, und die nasal quäkende Begeisterung der Fussballkommentatoren ist erst recht nicht zu überhören.
Angesichts dieser Omnipräsenz finde ich Diskussionen, wie sie kürzlich in der Bund-Onlineausgabe zu finden waren, umso störender: Da streiten sich doch tatsächlich zwei Herren darüber, ob Frauen nun Fussball schauen sollen oder nicht. Die Argumente bedienen billigste Stereotypen und Klischees: David Sarasin, der das Pro vertritt, beruft sich auf die Sanftmütigkeit und den dekorativen Wert der Frauen, Philippe Zweifel begründet sein Kontra mit dem angeblich fehlenden Fussballsachverstand der Frauen. Die Perspektive der Frauen spielt keine Rolle: es geht in keinem Moment darum, ob Frauen gern Fussball schauen (wie etliche meiner Freundinnen) oder nicht (wie ich). Es läuft alles auf das Eine heraus: Für Männer sind Frauen beim Fussball entweder störend oder optische Bereicherung. Die logische Folge wäre bei der momentanen Unausweichlichkeit der WM, dass in einem Fall (Kontra) alle, im anderen Fall (Pro) die undekorativen und weniger sanftmütigen Frauen zu Hause bleiben müssten: Frauen zurück an den Herd, überlasst die Öffentlichkeit den Männern. Das Ganze läuft zur Entschärfung unter dem Deckmäntelchen Humor, wer nicht darüber lachen will, wird in den Kommentaren als humorlos dargestellt.
Eine kleine Freude bleibt mir aber während dieser WM: die Vuvuzelas. Ich liebe sie! Sie tönen ähnlich wie die Autokorsos, die sich an der letzen WM jeweils in der Nacht durch unsere Quartierstrasse hupten. Nur muss ich sie im Gegensatz zu diesen nicht hören, solange ich mich (momentan wetterbedingt) an mein Haus und Herd-Gebot halte. Und wenn ich sie doch mal höre, kann ich mir eine leise aber erquickende Schadenfreude nicht verkneifen angesichts der Störung des omnipräsenten Fernseherlebnis…
Tags: Bund, Fussball, Vuvuzelas
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