14. Juni 2008

Wildnis und Einsamkeit

Heute sind wir in Jaspers angekommen. Nicht ganz so wie erhofft (davon spaeter mehr), aber mit genuegend Zeit um zu waschen, was bitter noetig war, und nach einer Woche Einsamkeit und Natur mal wieder in ein Internet-Cafe zu gehen.

In Clearwater haben wir niemanden mehr gefunden, der Nathans Velo anschauen wollte oder konnte. Also sind wir nach unserem Pausen- und Reparaturtag weiter in Richtung Norden gefahren. Am Samstag und Sonntag haben wir insgesamt 200 Kilometer durch einsamste Berge (na ja, ein paar Autos hatte es schon, aber doch keine nennenswerten Ortschaften) zurueckgelegt. Unterwegs drei Platten an Nathans Rad, eine wegen einer Scherbe, zwei, weil die Billigstschlaeuche “Made in Taiwan”, die das Ski- und Velocenter uns in unsere Velos eingebaut hatte, beim Pumpen neben dem Ventil gerissen sind. Also: wenn ihr mal einen Schlauch gewechselt haben muesst, wir haben jetzt Uebung…

Avola

Diese zwei Velotage hatten aber durchaus auch ihre guten Seiten: Mein frisch geflicktes Velo lief wunderbar, die Landschaft war wunderschoen, die Berge wurden immer hoeher und bald kamen auch die ersten Schneefelder in Sicht. Ausserdem sahen wir unterwegs drei Baeren, die jetzt nach dem Winterschlaf gluecklicherweise mehr Appetit auf Gruenzeug als auf Fleisch haben und nicht aggressiv sind. Eindruecklich waren diese Begegnungen aber schon… Das Lustigste war aber, dass auf dem Campingplatz im 300-Seelen-Kaff Blueriver der Manager ein oesterreichischer Hobbybiker war, der gleich Nathans Velo durchcheckte und uns Ersatzschlaeuche verkaufen konnte. Das Knacken brachte er zwar nicht weg, aber die Weiterfahrt nach Valemount und zum Mount Robson (diesmal nur 40 Kilometer) verlief ohne unliebsame Zwischenfaelle.

Black bear

Der Mount Robson ist mit 3954 Meter der hoechste Berg in den kanadischen Rocky Mountains und wir hatten das Glueck, ihn trotz sehr wechselhaftem Wetter unverhuellt zu sehen. An seinem Fuss verlaeuft eine Wanderung, die sehr beruehmt sein soll und in jedem Reisefuehrer waermstens empfohlen wird, der Berg Lake Trail. Da wir eh langsam genug vom Velo Fahren und vom Highway hatten, verbrachten wir denn ca. zwei Stunden damit, unsere Tagesrucksaecke so zu packen, dass es fuer drei Tage “Wildnis” reichen wuerde. Es war kein einfaches Unterfangen und kostete viel Nerven, aber es lohnte sich.

Rucksaecke

Die Campinggebuehren mussten wir im Voraus zahlen, und nach langem Hin und Her entschieden wir uns, die 21 Kilometer bis zum Berg Lake an einem Tag in Angriff zu nehmen und dort gleich zwei Naechte zu zelten. Das ueberfluessige Gepaeck konnten wir im Visitor’s Center lassen, und am Dienstag morgen ging’s nach sehr kraeftigem Fruehstueck im Restaurant nicht allzu frueh los.

Gleich anfangs Weg machten wir Bekanntschaft mit dem Ranger, der seine Schicht anfing. Woher wir kaemen, fragte er, und auf unsere Antwort dann die ueberraschende Bemerkung “Eh, de choei mer ja grad Schwyzerduetsch rede.” Er heisst Chrigel, kommt aus Adelboden und oberlaenderet trotz 36 Jahren in Kanada noch akzentlos. Einen Teil des Weges begleitete er uns, dann blieb er wegen seinen Plumpskloreinigungspflichten zurueck. Der Weg war zwar lang, aber die versprochene Kletterei war sehr human, und die Baeche, Wasserfaelle und Seen auf der Strecke lohnten die Strapatzen.

Berg Lake

Der Berg Lake Campground hat zwar keine Duschen und kein fliessend Wasser (ausser aus den Baechen), dafuer liegt er sensationell schoen am Gletschersee, auf dem Eisberge gondeln, und das gemuetliche Kuechenhaus (ohne Kochherd, aber wir hatten ja unseren Benzinkocher dabei), in dem wir Leute aus aller Welt trafen, war uns in der Kaelte mehr als willkommen. Ausserdem koennte man den Sitzplatz am See problemlos fuer ein Wachturm-Frontfoetteli verwenden: unzaehlige Streifenhoernchen lieferten sich Verfolgungsjagden oder knabberten Tannzaepfen, ein Wiesel flitzte umher und schaute uns beim Abwasch zu, ein Murmeltier graste am Baechlein. Fehlte eigentlich nur der friedliche kuschelige Baer… Der kam aber gluecklicherweise nicht, wir hatten ja auch all unser Essen brav in der Baerenbox eingeschlossen.

Berg Lake Campground

Nach einer sehr kalten Nacht (um die 0 Grad, es soll immer noch 10 Grad kaelter sein, als normalerweise, aber wenigstens hatten wir die drei Tage Wetterglueck und viel Sonnenschein) schliefen wir am naechsten Tag aus, fruehstueckten Mueesli, buken Brot in der Pfanne (nicht schlecht, hae?) fuers Picknick und und kletterten noch etwas hoeher. Die Wanderung fuehrte ziemlich anstrengend durch Schnee, aber wir wurden mit einer Superaussicht ueber die Rockies belohnt.

 Mumm Basin Trail

Abends dann der einzige Regen in den drei Wandertagen, da kam uns Chrigels Einladung zu einem Tee in die Rangerhuette gerade recht. Die Ranger waren zu zweit, und die Geschichten, die sie uns erzaehlten, spannend: so war an diesem Tag nur 650 Meter vom obersten Zeltplatz eine Grizzlyforschungsstation mit Lockmittel aufgebaut worden. Vom Tee aufgewaermt, verbrachten wir die zweite eisige Nacht auf 1600 Meter. Gestern ging’s dann im Eilschritt wieder runter, damit wir vor 17 Uhr unser Gepaeck wieder abholen konnten.

Regenbogen

Die drei Tage Sonnenschein bezahlten wir mit einer Nacht Regen, unser Zelt mussten wir heute Morgen feucht einpacken…

… Zeit ist um, Fortsetzung folgt.

Swissness

7. Juni 2008

Von gebrochenen Speichen mit Seeblick

Eine Woche sind wir nun schon unterwegs, aber es fuehlt sich nach viel laenger an. Keine Ahnung, ob dies nun die Kompensation ist fuer jahrelanges pannenfreies Velo Fahren, oder ob es noch die Nachwirkungen sind von der rauhen Behandlung, die unsere Velos auf dem Flug ueber sich ergehen lassen mussten, jedenfalls sind wir nur noch am Velo Flicken. Kleine Bilanz: die Schraube an Nathans Sattelbefestigung gebrochen, beide Staender kaputt (meinen konnten wir ersetzen, aber seit Kamloops sind wir noch an keinem Veloladen vorbei gekommen, so dass Nathan seinen Goeppu jeweils irgendwo anlehnen muss), drei Speichen ersetzt (abgesehen von der in Vancouver erstandenen), an einem anderen Rad eine 8 ausgebuegelt und einen Platten (selbstverschuldet) geflickt. Vermutlich eroeffnen wir eine Velowerkstatt, wenn wir zurueck sind!

Aber ja doch, zum Velo Fahren sind wir auch schon gekommen! Nach einem eher faulenzigen Tag in Vancouver Down Town und in unserer Suite im Sunset Inn (sehr empfehlenswert!) und einem exquisiten Znacht in einem Nurfischrestaurant, wo mir netterweise auch ein herrliches Vegiznacht kredenzt wurde, ging’s am Dienstagmorgen per Bus nach Kamloops. Der Velotransport war wieder abenteuerlich, alles was uns per Internet oder am Busbahnhof gesagt worden war, schien nicht mehr zu gelten: niemand konnte uns garantieren, dass unsere Velos mit demselben Bus transportiert wuerden, und die Boxen, die uns gegeben wurden, waren viel zu klein. Aber nach einigem Gebastel waren die Velos verpackt, die Boxen bekamen wir gratis und der Bus war so wenig gefuellt, dass die Velos tatsaechlich schon mit uns in Kamloops ankamen.

Kamloops ist ein seltsames Kaff: riesige kommerzielle und industrielle Zonen und ein ganz kleiner, verschlafener Dorfkern. Dazu ist es ein Eisenbahnknotenpunkt, wo zwei- und dreistoeckige Gueterzuege durchfahren (Personenzuege fahren meines Wissens nur etwa sechs pro Woche durch). Wir beobachteten das Spektakel von einer Bruecke aus, die Zuege sind so lange, dass wir zum Teil weder Anfang noch Ende sahen. Ein deutsches Ehepaar nahm uns die Wagenzaehlerei ab, sie kamen auf 97 Wagen.

Der Regen und der Laerm der Gueterzuege bewogen uns dazu, noch eine Nacht im Motel zu verbringen. Am naechsten Tag ging’s dann, etwas verspaetet, da wir noch einen Velostaender brauchten, endlich aus eigener Kraft los. Die Sonne schien wieder und die Strecke bis Barriere war zwar nicht sonderlich spannend, aber doch recht angenehm zu fahren. Die Seitenstreifen auf dem Yellowhead Highway sind breit, und nur die Lastwagen ueberholen zum Teil etwas unangenehm nahe, aber meistens waren wir dank meinem Rueckspiegel vorgewarnt. Die 61 Kilometer von Barriere bis Clearwater waren trotz erneutem Regen schon viel schoener, die Berge hoeher und nicht mehr so kahl.

Highway 5

In Clearwater haben wir nun einen wunderschoenen Campingplatz gefunden, der direkt an einem See liegt und nicht mehr so nahe beim Highway wie derjenige in Barriere. Hier haben wir heute einen Pausentag eingelegt, eigentlich in der Hoffnung, dass wir eineN MechanikerIn finden, der/die die Knackgeraeusche an Nathans Velo beheben koennte. Schlussendlich haben wir aber niemanden gefunden, dafuer haben wir den Nachmittag mit Speichen Ersetzen und 8en Beheben verbracht, teilweise dem Nervenzusammenbruch nahe, aber immerhin mit Seeblick… Morgen wollen wir dann trotz Knackgeraeuschen weiter in Richtung Norden fahren und in so ungefaehr 200 Kilometern koennte es dann wieder eine Werkstatt haben. Falls vorher eine Panne auftreten sollte, hoffen wir jetzt mal, dass uns einer der zahlreichen Pick-ups mitnehmen wird.

Ansonsten -abgesehen von Reparaturen und Regen - ist der Flecken hier sehr schoen. Ich habe zwar keinen Natelempfang, aber es hat Grillplaetze, Tische und sogar eine gedeckte Kueche - sehr nuetzlich uebrigens fuer Veloreparaturen ;-)

Dutch Lake, Clearwaters

2. Juni 2008

Vancouver

Huch, der Flug ist ueberstanden und wir sind heil wieder am Boden angelangt! Der Sitzabstand bei Air Canada ist grosszuegig, so dass wir einen erstaunlich angenehmen Flug hatten. Aber eigentlich sind diese Platzverhaeltnisse nicht weiter erstaunlich, man wird im Flugzeug so grosszuegig mit Zuckerhaltigem versorgt, dass die Gefahr gross ist, nicht mehr aus dem Sitz herauszukommen…

Mein Velo hat den Flug leider nicht ganz so gut praestiert, eine Speiche hat’s herausgespickt und die Bremse war auch verstellt. Die 50$ Transportgebuehren waren also nicht sehr wirksam investiert, schon die Schachtel war trotz “Fragile”-Kleber voellig verbogen und verrissen. Aber wir sehen’s von der positiven Seite: der Mech war sehr hilfsbereit und schnell, zudem wurden wir gleich noch gewarnt, dass unsere Schloesser fuer Vancouver nirgends hinreichen und sind jetzt mit allerbesten Abus-Schloessern ausgestattet. Ausserdem haben wir die Schnellspanner bei Raedern und Sattel ausgewechselt, in der Hoffnung, dass wir unsere Velos komplett auf die Weiterreise nehmen koennen.

Vancouver Downtown

Vancouver ist eine geniale Velostadt, auf dem Tourismusbuero gibt’s gratis Velostadtplaene, und wir waren gestern ueber 50 Kilometern fast ausschliesslich auf Velowegen und -spuren unterwegs. Dies staendig vor einem Hintergrund aus glaesernen Wolkenkratzern, schneebedeckten Bergen, Straenden und Meer. Etwas waermer duerfte es allerdings noch sein: nach einem strahlend schoenen Samstag, war gestern bewoelkt und Baden war keine so gluschtige Option mehr. Es sei momentan 10 Grad kaelter als sonst zu dieser Jahreszeit, und Nathan freut sich schon, dass wir unsere Superschlafsaecke nicht umsonst gekauft haben…

Locarno Beach

Vancouver ist sehr international, das Essen ist dementsprechend vielfaeltig (Vegiburgers, Piroggen, chinesisch,…) und die Leute sind fast alle sehr hilfsbereit und freundlich. Die Stadt hat allerdings auch ihre Schattenseit: wir sehen sehr viele bettelnde Menschen und solche, die im Abfall herum wuehlen. Leere Flaschen werden meistens sogleich von jemandem geholt, der sich davon einen kleinen Verdienst verspricht. Und am Samstag mussten wir ansehen, wie die Ambulanz einen jungen Mann zusammenlas, der wohl schon tot war. Nicht eben ein angenehmer Ferienauftakt…

Trotz den nicht nur schoenen Seiten der Stadt, haben wir noch einen Tag angehaengt. Die Jugi ist voll heute, was unser Glueck ist: Gleich gegenueber auf der anderen Strassenseite konnten wir fuer wenig mehr eine ganze Suite mit Superkingsizebett mieten. Schade, dass dies nur fuer eineNacht ist! Nach Shoppingtour am Samstag (Nathan hat sich -endlich- ein GPS gekauft, ich mir ein Handy, meines blieb mitsamt SIM-Card daheim) und Velotour gestern, wollen wir uns heute ohne Velo noch gemuetlich das Zentrum ansehen. Morgen geht’s dann weiter mit dem Bus nach Kamloops, von wo aus die Velotour richtung Norden starten wird.

So, das waer’s fuer den Moment, Internet ist hier sauteuer und die Zeit ist um. Mehr Fotos auf Flickr. Bis zum naechsten Mal!

23. Februar 2008

Von der heiligen, Eier legenden Wollmilchsau Fussball

Die nicht eben elegante Euro-Uhr auf dem Kornhausplatz in Bern zeigt es unübersehbar: Die Euro 08 rückt immer näher. Ein grosses Fest soll es werden, die Stadt überflutet mit Fussballfans, die über den neuen Bahnhofplatz richtung Altstadt strömen. Alle wollen sich ein Stück vom Kuchen abschneiden: BeizerInnen und Tourismusverantwortliche hoffen auf Rekordumsätze, in der Migros erfreuen neben anderen Extras sogar M’08-Äpfel mit weissem Schweizer Kreuz die Augen, obschon die UEFA von der Emsigkeit, mit der sich der orange Riese um die Fussballfans bemüht, nicht eben angetan ist.

Nicht eben angetan bin auch ich vom Rummel um den Ball. Nur zu gut habe ich die WM-Fans von 2006 in Erinnerung, die ihrer Freude nicht unmotorisiert mit einem Fest Ausdruck verliehen, sondern mit dem Auto die Strassen verstopften und mich mit Hupkonzerten in der Nacht aus dem Schlaf rissen - ich muss mich wohl glücklich schätzen, dass sie mich nicht gleich mit ihren schwenkenden Fahnen vom Velo gerissen haben… Angesichts der Tatsache, dass die EM im Gegensatz zur WM hier in meiner Stadt stattfinden soll, plagen mich deshalb langsam aber sicher unheilvolle Fantasien: in der Stadt kein Durchkommen mehr vor lauter Public Viewing, die Kinos geschlossen, das Aareufer übersäht von leeren Bierflaschen und ausnüchternden Fussballfans, die gemütlichen Gartenbeizen mit Fernsehern und Leinwänden jeglicher Grösse dekoriert.

Benedikt Weibel, der Euro-08-Delegierte des Bundesrats, rät im Bund-Samstaginterview von heute den Fussballmuffeln - seiner Ansicht nach handelt es sich um wenige Prozente der Bevölkerung - einen grossen Bogen um die Euro zu machen. Nicht ganz einfach, wenn frau mitten in der Stadt wohnt… Trotzdem will ich seinen Ratschlag befolgen, kratze mein Jahresferienpensum zusammen und werde mich im Juni von dannen machen.

Übrigens: nicht nur an der Ferienmesse im Januar habe ich etliche Leute mit ganz ähnlichen Plänen getroffen. Ob es etwa doch nicht so wenige sind, die vom “Volksfest” in die Flucht gejagt werden? Und zugegeben: Ein kleines bisschen Schadenfreude verspüre ich schon darüber, dass sich noch nicht einmal genügend freiwillige HelferInnen gefunden haben (Bund vom 17.2.08)…

9. Februar 2008

Itze längts!

Itze längts“, so der Name der Petition eines bürgerlichen Komitees in Bern: 22′800 Unterschriften für mehr Sicherheit und gegen Demonstrationen, Bettelei, Dreck und die offene Drogenszene. Im Visier hat das Komitee Drogenabhängige, randalierende Jugendliche und AusländerInnen und mögliche Kombinationen dieser Gruppen.

Dem kann ich nur entgegenhalten: Mir längts itze de ou. Mir reicht die Bettelei von Cablecom-Angestellten im Anzug, lieber gebe ich einem weniger schick angezogenen Bettler einen Fünfliber, als dass ich mir nur eine halbe Minute Cablecomgesülz anhören muss. Während Demonstrationen muss man sich bekanntlich mehr vor der Polizei als vor den Teilnehmenden fürchten. Der schädlichste Schmutz, sowohl für unsere Gesundheit als auch für die Umwelt, wird durch den motorisierten Privatverkehr verursacht.

Und zur Sicherheit: Ich habe wesentlich weniger Angst davor, nachts alleine zu Fuss die Stadt zu durchqueren als in der Stosszeit mit dem Velo. Während ich mich von den oben erwähnten Gruppen fast nie bedroht fühle, sehe ich mich fast täglich konfrontiert mit rücksichtslosen AutofahrerInnen, die die grundlegendsten Vortritts- und sonstigen Verkehrsregeln vergessen, wenn das Gegenüber auf dem Velo sitzt. In vielen Situationen kommt mir der Angstschweiss, und ich werde mir meiner Verletzlichkeit gegenüber dieser blechbewaffneten Mehrheit bewusst.

Ich kenne zwar die Statistiken nicht, aber ich bin ziemlich sicher, dass auch sie mir Recht geben würden in der Annahme, dass der Strassenverkehr wesentlich mehr Opfer fordert als drogenabhängige jugendliche ausländische Randalierer. Diese Gefahr wird zur Kenntnis genommen und akzeptiert und hat nicht den leisesten Aufschrei zur Folge. Ich nehme also an, dass nicht tatsächliche Verhältnisse zu oben stehenden Forderungen führen, sondern allein politische und wirtschaftliche Interessen: Der grosse Teil der wählenden und einkaufenden Bevölkerung ist nicht drogenabhängig, nimmt für sich aber die grenzenlose Mobilität mit dem Auto als persönliches unantastbares Recht in Anspruch.

Wie lange wollen wir uns diese von Eigeninteressen verdrehte Optik noch aufdrängen lassen? Wann wird es endlich nicht mehr als persönliche Freiheit jedes Einzelnen betrachtet, andere zu gefährden?

3. Februar 2008

Vom Kampf gegen Windmühlen

Manchmal komme ich mir vor wie eine alte verbitterte Frau, aber das war auch schon so, als ich noch ein Kind war. Es ist ja auch nichts falsch daran, eine alte Frau zu sein, nur am “verbittert” sollte ich noch arbeiten… Jedenfalls habe ich eine grenzenlose Fähigkeit mich aufzuregen: Ich rege mich auf über die Gratiszeitung .ch, die gegen alle unsere Aufforderungen, dies zu unterlassen, jeden Morgen bei uns im Eingang auf den Boden geschmissen wird. Ich rege mich auf über rücksichtslose AutofahrerInnen, die mir als Velofahrerin regelmässig den Angstschweiss ausbrechen lassen. Ich rege mich auf über die Offroader, die blitzblank geputzt eine einzelne Person durch die Stadt zur Arbeit fahren, ohne je eine Schotterpiste von Nahem gesehen zu haben. Ich rege mich auf über all die PolitikerInnen, die die Bevölkerung weder bevormunden noch in ihrer persönlichen Freiheit die Luft zu verpesten einschränken wollen, da die Klimakatastrophe ja eh übertrieben werde, wenn nicht gar eine Erfindung sei.

Und ganz besonders rege ich mich auf, wenn ich im Alltag und in den Medien Tag für Tag mit überholten, ungerechten und einengenden Geschlechterbildern und mit Diskriminierung konfrontiert werde, mich gleichzeitig aber immer wieder für meinen Feminismus rechtfertigen muss. Nein, ich mag Männer, ich habe auch noch nie einen Mann mit Tomaten oder faulen Eiern beworfen und ich lasse mir durchaus auch mal eine Tür aufhalten, aber ich will mich nicht damit abfinden, dass Frauen immer noch hauptsächlich über Aussehen, Sexualität und Mutterschaft definiert werden. Zwei Beispiele gefällig?

Richard Blackwell veröffentlicht alljährlich seine Liste der unmodischsten Frauen, und anstatt dass frau und man sich fragen würde, mit welchem Recht er diese Frauen so taxiert, wird bei gmx genüsslich darüber Bericht erstattet und nicht gegeizt mit wenig schmeichelhaften Attributen für diese weiblichen Promis. Für die Weltwoche sind nicht fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten u.ä. der Grund dafür, dass es zu wenig Frauen in Spitzenpositionen gibt, nein, die Frauen sind selber schuld, müssten sie doch nur ihre weiblichen Fähigkeiten besser einsetzen, sprich: sich hochschlafen.

Und da soll ich mich nicht aufregen??? In die Welt hinausschreien möchte ich all diese Fehlleistungen und Fehleinschätzungen unserer Gesellschaft, auf dass alle hinhören und wir gemeinsam daran gehen können, sie aus der Welt zu schaffen. Ich weiss, ich kämpfe gegen Windmühlen an, aber das ist immer noch besser als mich von meiner wütenden Energie von innen auffressen zu lassen. Und wer sagt denn, dass sich Windmühlen nicht eines Tages besiegen lassen?