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3. August 2011

Sonnenfaulenzfresstage

Pünktlich und patriotisch sind wir am 1. August wieder heimgekommen und haben auch schon einen Bürotag hinter uns. Und doch muss diese Reise auch in elektronischer Form abgeschlossen werden… Unsere günstige und zentrale Gîte in St. Martin hatte trotz allem noch einen kleinen Haken: Er hiess Caramel und war eine Katze, die nachts hereinschlich und sich spielenderweise über unsere Seidenschlafsäcke und Beine her machte. Bis wir das Vieh von unserer Galerie über den Kajüttenbetten herunterspediert hatten, war das ganze Dortoir wach…

Der letzte richtige Pass, der Col de Turini, war zwar keine Tourihochburg, aber auch sonst nicht spektakulär: eine Kreuzung mit ein paar Häusern. Aber zum Glück war Nathan vom Ehrgeiz gestochen und überzeugte mich mit Engelszungen weiterzufahren: 50 Höhenmeiter weiter eine Alpkäserei mit köstlichem Käse, noch einmal 350 Höhenmeter und wir waren auf einem einsamen Berg mit ein paar alten Forts und - vor allem - zum ersten Mal Meersicht. Der Augenblick war unglaublich und alle Anstrengungen mehr als Wert.

Authion 4

Sospel dann, das letzte Dorf in den Bergen, war ganz hübsch, aber auch leer und nass, und kein Restaurant wollte uns nach dem Abendessen noch einen Digestif servieren (Non, on ne fait pas de bar ici). Auch der letzte Pass war nix Besonderes, die Aussicht von Privatvillen versperrt. Und dann ging’s nur noch runter an den Strand in Menton - Kiesstrand zwar, aber die Stadt selber ist dafür umso schöner. Und noch selten habe ich irgendwo (auch nicht in Italien) so gut italienisch gegessen: Kleine Restaurants von italienischen Familien geführt, günstig und der Digestif ging sowieso immer aufs Haus. Falls wir auf den Pässen irgendwelche Kilos verloren haben sollten, haben wir sie uns in Menton bestimmt wieder angefuttert!

Menton 1

Die Fahrt letzten Samstag nach Nizza war kurz, aber stressig - wer will denn schon in der Hochsaison der französischen Riviera entlang fahren? Aber am Abend die Belohnung: nach fünf Jahren kehrten wir in das beste vegetarische Restaurant ever (lasse mich gern eines Besseren belehren!) zurück: la Zucca Magica. Die Wahl hat man eigentlich nur zwischen rotem und weissem Wein, und dann wird eine Köstlichkeit nach der anderen aufgetragen, je nachdem, was der Chef morgens auf dem Markt gefunden hat. Noch einmal einen Tag Lädelen, Spaziervelofahren und Baden im Meer, und dann ging’s auch schon zurück im TGV (wie immer mit etlichen Hirnis, die nicht lesen können und das Veloabteil im Zug mit übergrossen Koffern zupflastern). Die ganze Reise war fantastisch, und zwar hinsichtlich Landschaft, Leuten, Erlebnissen usw. Kann sie nur wärmstens zum Nachahmen empfehlen!

Villefranche

Noch ein paar praktische Hinweise…

für NachahmerInnen und Informationsgoogelnde:

  • Unterkünfte: Günstige Unterkünfte gibt’s überall am Weg. Wer ganz billig unterkommen will, in Tour de France-Zeiten und -Gebiet unterwegs ist oder auf Nummer sicher gehen will, reserviert vorher per Telefon (braucht Geduld, meistens erreicht man erst beim dritten oder vierten Versuch jemanden). Sonst findet sich meistens auch so ein brauchbares Zimmer. Die Gîtes de France sind günstig und meistens sehr komfortabel (gibt aber grosse Unterschiede bei Preis und Ausstattung), aber nicht immer sehr zentral gelegen. Einige finden sich in Verzeichnissen (z.B. http://www.gites-de-france.com/), aber noch viel mehr liegen am Weg. Campingplätze hat’s natürlich auch, Zelt war uns aber zu schwer zum Mitschleppen.
  • Essen: Am günstigsten fährt man mit Halbpension. Aufpreis war bei uns meistens zwischen 10 und 20 Euro, dafür gab’s neben Frühstück (mager, süss und für sich allein mit 6-10 Euro sehr teuer) und Abendessen oft auch noch Wein und Kaffee, einmal sogar Aperitif. In den Alpen fanden wir oft Marktstände, die feinen Käse u.ä. verkauften.
  • Infos zur Strecke: Infos zur “Route des Grandes Alpes” im Internet;  Kartenmaterial vom Institut Géographique National, Top 100 Tourisme et découvert, Kartennummern 144, 151, 158, 165 (mir allerdings nicht ganz klar, weshalb auf einer Karte für Velos und WandererInnen Autobahnraststätten, nicht jedoch Picknick- und Campingplätze eingezeichnet sind…); Bücher: Stefan Pfeiffer, Südost-Frankreich per Rad, Neuenhagen, Kettler, 2009 (Ausgabe von 2003 teilweise sehr ungenau und mit einigen falschen Angaben) und Rudolf Geser, 100 Alpenpässe mit dem Rennrad, Bruckmann, 2008 (halt für Rennvelos, aber Karten, Höhenprofile und Streckenbeschreibungen gut). Und dann noch ein Bundartikel.

Authion 6

24. Juli 2011

Dem Meer entgegen

Noch eineinhalb Pässe bis zum Meer… Eigentlich sind wir ja froh, wenn die Höhenmeter irgendwann zu Ende sind und wir haben uns ein paar Mal gewünscht, mal wieder flach Kilometer zu fressen, anstatt uns jeden Meter zu erkämpfen. Andererseits sind wir schon etwas traurig, wenn die schönen, ruhigen Berge zu Ende sind und wir im Getümmel an der Côte  d’Azur ankommen. Und irgendwie wurmt es schon, dass wir nicht von Anfang an die Route des Grandes Alpes gefahren sind…

Gorges de Daluis

Inzwischen sind wir in St. Martin-Vésubie angelangt (Gîte: juhu, billig und zentral!). Das Dorf ist ja ganz nett, aber nach der letzten Station können uns piktoreske Dörfer nicht mehr so schnell aus den Socken hauen: zufälligerweise sind wir gestern in Roubion gelandet, einem verträumten Nest an einem Felshang, das vom Tourismus (zum Leidwesen der Ansässigen, zu unserem Glück) noch kaum entdeckt worden ist. Übernachtet haben wir in einem alten renovierten Haus bei zwei Gastgeberinnen, die uns sogar Käse zum Frühstück serviert haben (hier eine Seltenheit, am Morgen gibt’s sonst vor allem Süsses, so dass wir meistens schon auf halber Passhöhe vom Hunger nach Salzigem heimgesucht werden…). Und am Abend  bei schönster Aussicht ein Jazzkonzert…

Roubion 1

Nach dem Vars-Pass hatten wir uns nach langem Hin und Her gegen die Überquerung des Col de la Bonette entschieden: 1700 Höhenmeter versprachen einerseits ein unschlagbares Ankunftserlebnis, andererseits hatten wir nicht wirklich Lust diesen Höhenunterschied auch tatsächlich zu bewältigen… Wir haben unseren Entschluss nicht bereut, denn so sind wir in Barcelonnette durchgekommen, wo just letzte Woche ein Jazzfestival stattfand und wir noch Billets für ein Open Air-Konzert von Gotan Project bekamen. Die Stimmung war super, das Konzert gewaltig und gegen die Kälte half der sehr feine Glühwein. Am nächsten Tag ging’s weiter über den Col de la Cayolle, etwas weniger hoch als die Bonette, aber landschaftlich mit mehreren Schluchten sehr lohnend.

Col de la Cayolle 1

Seither ist die Landschaft zwar immer noch gebirgig, aber doch nicht mehr so swisslike: Die Täler sind sehr eng, dafür wird’s oben weiter, also sind die Passfahrten unten steil und oben flach (anfangs war’s umgekehrt). In diesen Hochtälern (eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Emmental ist nicht abzustreiten) finden sich hübsche Dörfer mit recht ursprünglicher Architektur, aber irgendwo in der Höhe trifft man bestimmt auch auf ein Winterresort, dessen Hotels und Feriensiedlungen auffällig den Schweizer Zweitwohnungssiedlungen (Riesenchalets ohne Dorfzentrum) gleichen - sogar unser Pass heute (Col de St. Martin) hat sich als solches Retortendorf herausgestellt. Aber schon auf der Abfahrt überwiegten schon wieder die schönen Aussichten und machten Lust auf die Weiterfahrt morgen über den Col de Turini nach Sospel.

Colmiane

2. Juni 2008

Vancouver

Huch, der Flug ist ueberstanden und wir sind heil wieder am Boden angelangt! Der Sitzabstand bei Air Canada ist grosszuegig, so dass wir einen erstaunlich angenehmen Flug hatten. Aber eigentlich sind diese Platzverhaeltnisse nicht weiter erstaunlich, man wird im Flugzeug so grosszuegig mit Zuckerhaltigem versorgt, dass die Gefahr gross ist, nicht mehr aus dem Sitz herauszukommen…

Mein Velo hat den Flug leider nicht ganz so gut praestiert, eine Speiche hat’s herausgespickt und die Bremse war auch verstellt. Die 50$ Transportgebuehren waren also nicht sehr wirksam investiert, schon die Schachtel war trotz “Fragile”-Kleber voellig verbogen und verrissen. Aber wir sehen’s von der positiven Seite: der Mech war sehr hilfsbereit und schnell, zudem wurden wir gleich noch gewarnt, dass unsere Schloesser fuer Vancouver nirgends hinreichen und sind jetzt mit allerbesten Abus-Schloessern ausgestattet. Ausserdem haben wir die Schnellspanner bei Raedern und Sattel ausgewechselt, in der Hoffnung, dass wir unsere Velos komplett auf die Weiterreise nehmen koennen.

Vancouver Downtown

Vancouver ist eine geniale Velostadt, auf dem Tourismusbuero gibt’s gratis Velostadtplaene, und wir waren gestern ueber 50 Kilometern fast ausschliesslich auf Velowegen und -spuren unterwegs. Dies staendig vor einem Hintergrund aus glaesernen Wolkenkratzern, schneebedeckten Bergen, Straenden und Meer. Etwas waermer duerfte es allerdings noch sein: nach einem strahlend schoenen Samstag, war gestern bewoelkt und Baden war keine so gluschtige Option mehr. Es sei momentan 10 Grad kaelter als sonst zu dieser Jahreszeit, und Nathan freut sich schon, dass wir unsere Superschlafsaecke nicht umsonst gekauft haben…

Locarno Beach

Vancouver ist sehr international, das Essen ist dementsprechend vielfaeltig (Vegiburgers, Piroggen, chinesisch,…) und die Leute sind fast alle sehr hilfsbereit und freundlich. Die Stadt hat allerdings auch ihre Schattenseit: wir sehen sehr viele bettelnde Menschen und solche, die im Abfall herum wuehlen. Leere Flaschen werden meistens sogleich von jemandem geholt, der sich davon einen kleinen Verdienst verspricht. Und am Samstag mussten wir ansehen, wie die Ambulanz einen jungen Mann zusammenlas, der wohl schon tot war. Nicht eben ein angenehmer Ferienauftakt…

Trotz den nicht nur schoenen Seiten der Stadt, haben wir noch einen Tag angehaengt. Die Jugi ist voll heute, was unser Glueck ist: Gleich gegenueber auf der anderen Strassenseite konnten wir fuer wenig mehr eine ganze Suite mit Superkingsizebett mieten. Schade, dass dies nur fuer eineNacht ist! Nach Shoppingtour am Samstag (Nathan hat sich -endlich- ein GPS gekauft, ich mir ein Handy, meines blieb mitsamt SIM-Card daheim) und Velotour gestern, wollen wir uns heute ohne Velo noch gemuetlich das Zentrum ansehen. Morgen geht’s dann weiter mit dem Bus nach Kamloops, von wo aus die Velotour richtung Norden starten wird.

So, das waer’s fuer den Moment, Internet ist hier sauteuer und die Zeit ist um. Mehr Fotos auf Flickr. Bis zum naechsten Mal!

9. Februar 2008

Itze längts!

Itze längts“, so der Name der Petition eines bürgerlichen Komitees in Bern: 22′800 Unterschriften für mehr Sicherheit und gegen Demonstrationen, Bettelei, Dreck und die offene Drogenszene. Im Visier hat das Komitee Drogenabhängige, randalierende Jugendliche und AusländerInnen und mögliche Kombinationen dieser Gruppen.

Dem kann ich nur entgegenhalten: Mir längts itze de ou. Mir reicht die Bettelei von Cablecom-Angestellten im Anzug, lieber gebe ich einem weniger schick angezogenen Bettler einen Fünfliber, als dass ich mir nur eine halbe Minute Cablecomgesülz anhören muss. Während Demonstrationen muss man sich bekanntlich mehr vor der Polizei als vor den Teilnehmenden fürchten. Der schädlichste Schmutz, sowohl für unsere Gesundheit als auch für die Umwelt, wird durch den motorisierten Privatverkehr verursacht.

Und zur Sicherheit: Ich habe wesentlich weniger Angst davor, nachts alleine zu Fuss die Stadt zu durchqueren als in der Stosszeit mit dem Velo. Während ich mich von den oben erwähnten Gruppen fast nie bedroht fühle, sehe ich mich fast täglich konfrontiert mit rücksichtslosen AutofahrerInnen, die die grundlegendsten Vortritts- und sonstigen Verkehrsregeln vergessen, wenn das Gegenüber auf dem Velo sitzt. In vielen Situationen kommt mir der Angstschweiss, und ich werde mir meiner Verletzlichkeit gegenüber dieser blechbewaffneten Mehrheit bewusst.

Ich kenne zwar die Statistiken nicht, aber ich bin ziemlich sicher, dass auch sie mir Recht geben würden in der Annahme, dass der Strassenverkehr wesentlich mehr Opfer fordert als drogenabhängige jugendliche ausländische Randalierer. Diese Gefahr wird zur Kenntnis genommen und akzeptiert und hat nicht den leisesten Aufschrei zur Folge. Ich nehme also an, dass nicht tatsächliche Verhältnisse zu oben stehenden Forderungen führen, sondern allein politische und wirtschaftliche Interessen: Der grosse Teil der wählenden und einkaufenden Bevölkerung ist nicht drogenabhängig, nimmt für sich aber die grenzenlose Mobilität mit dem Auto als persönliches unantastbares Recht in Anspruch.

Wie lange wollen wir uns diese von Eigeninteressen verdrehte Optik noch aufdrängen lassen? Wann wird es endlich nicht mehr als persönliche Freiheit jedes Einzelnen betrachtet, andere zu gefährden?